Liebe Leserinnen. liebe Leser,
Ihr
Michael Uhlworm
Der Getränkeleergutautomat
Der Getränkeleergutautomat hatte es satt. So satt hatte er es, dass er zu überlegen begann, wie er der Tristesse seines Daseins entkommen konnte.
Man stopfte in ihn hinein, was nur ging. Oben bekam er die einzelnen Flaschen, mal große, mal kleinere, oder alte Dosen aus denen stinkendes, abgestandenes Restbier tröpfelte. Manchmal auch Cola oder Limonade, beides widerlich Süß an Verwesung erinnernd.
Unten, etwas weiter südlich seines Bauchnabels, wuchtete man ganze Kästen mit oder ohne Flaschen rein. Niemand nahm Rücksicht auf sein sensibles Innenleben. Man knallte, schob und trat mit Füßen nach, als ob er sich davon einschüchtern ließe und den rückzahlbaren Pfandbetrag auf dem Bon verdoppelte.
Aber so etwas kam bei ihm nicht in Frage. Er war so was von höchst korrekt, dass jeder deutsche Finanzbeamte im mittleren Dienst im Vergleich vor Neid erblassen und sich wegen Unterschlagung einer Selbstanzeige unterzogen hätte.
Ganz schlimm waren auch die Ungeduldigen. Die kamen meist am Monatsende, wenn der Euro oder gar der Cent knapp wurde, mit großen blauen Mülltüten in denen sich das aus Mülleimern gesammelte Leergut befand. Da hatte er volle Höchstleistung zu zeigen und wehe es hakte bei ihm, weil die Säcke hinter ihm voll waren und keine einzige Flasche mehr aufnehmen wollten. Dann war das Gebrüll der Männer, das Gezeter der Frauen ihm unangenehm laut.
Manche, die augenscheinlich schon am Hungertuch nagten, konnten nicht an sich halten und traten und schlugen auf ihn ein, das der Begriff Körperverletzung ein zu mildes Wortgebilde zu sein schien und seine erlittenen Qualen nicht im Mindesten widerspiegeln konnte.
Ja nicht einmal zur Selbstverteidigung hatten ihn seine Konstrukteure in die Lage versetzt. Nun wären Arme mit Fäusten dran, für die Aufgabe die er zu erfüllen hatte des Guten zu viel gewesen. Doch nicht einmal eine Spritzdüse, mit der er je nach Bedarf und Gutdünken kaltes oder heißes Wasser oder Salzsäure hätte versprühen können, hatte man ihm als Mittel zur Selbstverteidigung gegönnt.
Auch an einen Hilfeschrei von ihm hatte niemand dieser genialen Automatenarchitekten gedacht. Kein Horn, keine noch so lächerliche Tröte hatten sie in ihm verbaut. Nur diesen stillen Alarm zur Kasse hin, den die Kassiererinnen aber gerne übersahen, oder überhörten, weil er eben so still war oder sie zu faul waren, ihre Kasse zu verlassen und nach seinem Rechten zu sehen hatten sie ihm eingepflanzt.
Kurz, er war zum Ertragen und Erdulden verdammt. Mit null Möglichkeiten irgendeine, wie auch immer geartete Gegenwehr einleiten zu können.
Er hatte es satt, so was von satt, hatte er sein Dasein. Er brauchte dringend eine Veränderung. Doch wie sollte er eine herbeiführen, eingeklemmt zwischen zwei Mauern aus Stein? Ohne Beine zum Fortlaufen, ohne Räder zum Wegrollen. Ohne jede Chance auch nur für die kleinste Fortbewegung?
So sann der Getränkeleergutautomat tagein, tagaus ohne rechtes Resultat über sein Entkommen nach, bis ihn eines Tages eine Erkenntnis durch Blech und Scanner ging die ihn ganz aufgeregt werden ließ.
Er wollte den Strichcodescanner manipulieren. Das sollte funktionieren, wenn er bei der Leergutannahme nur kräftig rüttelte und sich schüttelte, das der Scanner aus dem Gleichgewicht kam und kräftige Strichcodedreher verursachte, die fehlerhafte Leergut-Gutschriften, natürlich immer zu Ungunsten des Leergut-Rückgebers erzeugten.
So geschah es erst an Kasse drei, die gerade als einzige geöffnet hatte.
»Unser Getränkeleergutautomat irrt nie, niemals. Wenn da zwei Euro steht, so haben Sie auch nur für zwei Euro Leergut eingeworfen.« Die Kassiererin hatte eine kräftige sonore Stimme.
»Niemals«, keifte ein altes, krummes Männlein, »zehn Kunststoffflaschen á fünfundzwanzig Cent, macht nach Adam Riese zweieurofünfzig Fräulein. Der Automat hat mich um fünfzig Cent beschissen.«
Der Filialleiter wurde gerufen.
»Niemals, niemals verrechnet sich unser Getränkeleergutautomat. Das ist übelste Nachrede und eine unhaltbare Unterstellung. Ich erteile Ihnen hiermit sofortiges und strengstes Hausverbot.«
Die robuste Kassiererin nutze diese sich bietende Chance, sich bei ihrem Chef unbedingt beliebt zu machen, packte das Männlein am Kragen und bugsierte es mit gezielten Tritten hinaus.
So ging es die nächsten Tage weiter. Die robuste Kassiererin überzeugte mit Engagement, in dem sie sich Stiefel mit Stahlkappen anschaffte und jede Aufmüpfige und auch jeden Beschwerer wüst beschimpfte und höchst ungalant vor die Tür beförderte.
Dem Filialleiter ging erst ein Licht auf, als er die Grabesstille wahrnahm, die ihm dann doch sehr ungewohnt vorkam. Nach strengem Verhör der Kassiererin war die mögliche Ursache für die Kundenflaute schnell und flott ausgemacht. Alle Beschwerden der Kunden deuteten auf den Getränkeleergutautomaten als Verursacher der Unruhen hin und dem wollte er rigoros auf den Grund gehen.
Schnell trank er zwanzig Flaschen Bier, die je Flasche 25 Cent Pfand einbrachten, aus um sie flugs zu Bargeld zu machen. Und tatsächlich, es fehlten fünfzig Cent, der Getränkeleergutautomat hatte nur achtzehn Flaschen gezählt.
Umgehend eilte er
torkelnd in sein Büro und rief in der Firmenzentrale an, um sich zu beschweren. Der Sachbearbeiterin in der Beschwerdeabteilung fiel sein starker Alkoholakzent auf und ...
Das Buch ist auf allen Online-Plattformen, wie auch im stationären Buchhandel erhältlich. Auch als Ebook