Sonntag, 8. September 2019

Leseprobe "Schöne Aussichten - bei diesen Nachbarschaften!" Teil 2


Liebe Leserinnen, liebe Leser,

heute möchte ich eine Leseprobe posten.

Eigentlich sind es zwei Leseproben. Die Erste ist der Prolog zum Buch und die Zweite st eine abgeschlossene Kurzgeschichte.

Das gesamte Buch mit ca. 270 Seiten ist bei Amazon als Taschenbuch und als Ebook und auch/oder im stationären Buchhandel wie auch im Online-Buchhandel wie Thalia etc., zu beziehen.


Hier also die Leseprobe, viel Vergnügen.


Prolog

Sie glauben, Hausmeister zu sein ist ein Job, der nicht viel Grips und nur etwas Handwerksgeschick erfordert? Na ja, dann möchte ich mich Ihnen einmal vorstellen.
Mein Name ist Tino Pieper, ich bin ein Hausmeister und ich lade Sie ein, mir bei einem kleinen Rechenmo­dell zu folgen.
So können Sie schon einmal, ganz nebenbei herausfinden wie hoch mein persönlicher Gripslevel ist.
Ich bin hauptverantwortlicher Hausmeister von zwei­unddreißig Häusern.
Jedes dieser Häuser hat drei separate Hauseingänge zur jeweiligen Straße hinaus.
Das macht insgesamt sechsundneunzig Hauseingänge, wenn ich nicht irre.
Alle Häuser sind architektonisch identisch, in den neun­zehnhundertachtziger Jahren gebaut worden und haben ein Parterre, eine erste und eine zweite Etage wie auch ein Dachgeschoss, das man auch als dritte Etage be­zeichnen kann. Auf jeder Etagenebene gibt es zwei Wohnungen, eine links und eine rechts. Bei drei
Hauseingängen beinhaltet jedes Haus also vierundzwanzig Wohneinheiten.
Diese vierundzwanzig Wohneinheiten multiplizieren wir jetzt mit den zweiunddreißig Häusern, die die Wohnanlage insgesamt umfasst und kommen auf sage und schreibe, siebenhundertachtundsechzig Wohnun­gen, die nach meiner Aufmerksamkeit verlangen. Selbstverständlich nicht alle gleichzeitig.
Bis hierher hat Ihr Gripsometer sicher noch keine Fol­geschwierigkeiten gehabt, oder?
Dann bleiben Sie mal schön am Ball mit dieser kleinen Statistik.
Die Wohneinheiten teilen sich nämlich so auf: Achtzehn Prozent werden bewohnt von Singles, also Alleinste­henden. Zweiunddreißig Prozent der Wohnungen sind von Paaren ohne Kinder belegt.
Die Alleinerziehenden mit ein bis zwei Kindern belegen Acht Prozent der Wohnungen und die Hauptgruppe, Paare mit ein bis vier Kindern beziffern sich mit Zweiundvierzig Prozent.
So und jetzt stellen Sie sich einmal vor, oder rechnen es
sich ungefähr aus, mit wie vielen Menschen, unter­schiedlichen Alters, Nationalitäten, Berufen, Bildungsg­raden und so weiter, ich es tagtäglich zu tun habe. Und, halten Sie mich immer noch für einen Glühbirnenein­dreher mit rudimentären intellektuellen Eigenschaften?
Tja, ich mache den Job als Hausmeister jetzt seit annä­hernd zwölf Jahren und kann Ihnen sagen, was ich ne­benher noch so alles geworden bin.
Zuallererst muss ich ein guter Psychologe für alle Le­benslagen sein. Ich muss loben, beschwichtigen, schlichten, trösten, vertrösten, abmahnen und manch­mal auch zu Beisetzungen gehen und kondolieren.
Ein eloquenter Verkäufer bin ich auch, denn ich habe überzogene Wünsche und unverschämte Forderungen in realitätsnahe Möglichkeiten zu verwandeln. So gese­hen, bin ich auch ein wenig ein Zauberer.
Auch als Innenarchitekt bin ich schon mal gefragt, be­sonders bei den alleinstehenden Damen, doch hier ist Vorsicht geboten. Ich gebe niemals einen Kommentar oder Ratschlag zu Fragen, die den Schlafraum betref­fen. Bei solchen Single-Mieterinnen achte ich auch ganz sorgfältig auf die Termingestaltung, sei es auch nur um einen Laminatschaden zu begutachten. Niemals am frühen Vormittag und niemals am späten Nachmit­tag. Am besten eignet sich hier die Mittagszeit, denn Frauen die schlemmen, kommen nicht auf unkeusche Gedanken. Außerdem ist es auch eine Frage der Kleiderordnung, Sie verstehen mich schon.
Sie sehen, meine Arbeit ist durchaus vielseitig und an­spruchsvoll, kein Tag gleicht dem anderen und von Routine, kann nicht die Rede sein. Deswegen schreibe ich in diesem Buch von meinen Erlebnissen als Haus­meister einer gar nicht so kleinen Wohnanlage irgend­wo in Deutschland. Alle Namen von handelnden Personen sind frei erfunden, denn ich bin zur Ver­schwiegenheit verpflichtet. Auch mein Name ist ein Pseudonym, nur einige Wahrheiten darf ich Ihnen über mich verraten.

Ich bin sechsundvierzig Jahre alt, Junggeselle und habe mein Studium zum Maschinenbauingenieur im vierten Semester abgebrochen, um Binnenschiffer zu werden. Doch übewwr ein Dasein als Leichtmatrose kam ich nicht hinaus, so wurde ich Assistent des Hausmeisters der hiesigen Wohnanlage und beerbte seine Stelle, nachdem er in Rente ging. Leider verstarb er sehr frühzeitig und ich beerbte ihn ein Zweites mal und zog in seine freigewordene Wohnung, in die Hermannstraße 13. Das war vor beinahe zwölf Jahren und lesen Sie jetzt und hier, was ich Ihnen so alles zu erzählen habe über die schönen Aussichten, bei diesen Nachbarschaften.


Neuer Vorstand

Die Woche fing ja schon einmal mit einer aufre­genden Neuigkeit für mich an. Eine Neuigkeit, de­ren Tragweite mir noch nicht bewusst war.
Die erste Neuigkeit war, dass die Wohnungsver­waltungs- und Vermietungsgesellschaft AG, mein Arbeitgeber einen neuen Vorstand bekommen hatte:
Dr. Winnifried Umblicker und sein grandioses Team
So weit so gut, ich hatte also mal eben neue Bosse bekommen.
Das kann Vorteile, aber auch Nachteile bringen. In welche Richtung die Reise ging, konnte man im Vorfeld ja nie wissen.
Was mich an dieser Nachricht so pikste und nach­denklich machte, war ein altes Sprichwort: Neue Besen kehren gut.
Nun besteht ein Besen ja aus einem langen Stiel und einer Art Querbrett, auf dem die Borsten zum Kehren angebracht sind.
Was konnte also ein solch simpler Gegenstand, noch dazu aus Holz minderer Qualität, jedenfalls kein Teak oder Kirschbaum, gefertigt bei einem solch komplexen Unternehmen wie dem unseren schon groß verändern?
Und was sollte ein neuer Vorstand auch groß ver­ändern können? Schließlich hatte er den Aufsichts­rat vor der Nase und die Aktionäre würden ihn bei der nächsten Aktionärsversammlung schon abstrafen, sollte er zu hitzig und scharf gekehrt haben.
Doch als Hausmeister weiß ich eben auch einiges über die menschliche Natur zu berichten. Und die war rational nicht immer, oder besser oft selten zu begreifen und zu verstehen. Außerdem kam er­schwerend hinzu, dass es gerade Mitte Juli war. Die Temperaturen waren auf über dreißig Grad geklettert und konnten somit auch für Überhitzung von Gemütern sorgen; auch und eben in bestens klimatisierten Vorstandsetagen, wo es jetzt um neu zu besetzende Posten und Pöstchen ging. Die Krallen waren geschärft, die Ellbogen abgehärtet und die Zungen spitzer. Das Gemetzel auf ge­hobener bis höchster Ebene konnte beginnen. Neu­deutsch auch Managerbashing genannt.
Doch aus Gründen einer gesunden und mitarbeiter­freundlichen Unternehmenskultur, bediente man sich lieber an weniger martialischen Begriffen, die jeder Reinigungskraft im untersten Dienst bekannt waren. Hygiene oder Bereinigung, waren nette, für die Außendarstellung in den Medien Umschreibun­gen für das, was da kommen sollte:
Köpfe würden rollen.
Anton Goldbach, langjähriger Mieter der wegen enormen Übergewichtes und daraus resultierender, gelegentlicher Atemnot seine Wohnung nicht mehr verlassen konnte und obendrein mein guter Freund geworden, rief mich auf meinem Handy an.
»Tino, hast du es gelesen?«
Keine Frage für mich, worauf er hinaus wollte.
»Ja Anton, ich habe es schon vor dem Zeitungsarti­kel gewusst. Du kannst dir sicher vorstellen, was diese Nachricht für einen Aufruhr bei meinen Kol­legen verursachen wird.«
»Da war die stille Post wohl mal richtig laut was?«
Sein Atmen kam wie immer schwer und stoßweise, wenn er sich in Erregung versetzt hatte.
»Ach Anton, reg dich nicht auf, vielleicht verän­dert sich ja auch gar nichts«, log ich mir selber in die Tasche.
Doch Anton ließ sich nicht täuschen. Er war schon lange auf der Welt und seine Instinkte, durch Er­fahrung geschärft, gepaart mit seiner Menschen­kenntnis schlugen Alarm.
»Weißt du, wie hoch meine Rente ist? Nein, frag lieber nicht. Die ist auf Kante genäht und zum Amt gehen und um Wohngeld zu betteln liegt mir nicht. Ich komme ja nicht mal die Treppe hinunter.«
Ja ja, wusste ich. Die Rente ist sicher, wie Norbert Blüm einmal frohlockte und wie ein Mantra in jedes Mikrofon betete, dass sich ihm darbot. Aber über die Höhe sagte dieses Statement, damals wie heute leider recht wenig aus.
Und den Blüm konnte man an sein Versprechen ja nicht mehr messen, der war längst aus dem Amt und verlebte seine sicher üppigen Altersbezüge als ehemaliger Arbeits- und Sozialminister im eigenen Häuschen mit Garten. Je höher die Mädchen und Jungs in der Politik aufstiegen, so länger wurden ihre Nasen, bis sie selber deren Spitzen nicht mehr sehen konnten. Doch rot vor Scham wurden Sie während des stetigen Nasenwachstums nicht, höchstens etwas blass um die langen Näschen.
Immerhin war der Blüm noch bodenständig geblie­ben und war nicht dem Lockruf des Ostens, sprich Geldes, gefolgt um nach der Politkarriere nun erst richtig Kasse zu machen. Aber auch weit im Westen konnte man sich die lange Nase vergolden lassen. Zur Not mit einer schönen und gepflegten Gast-Professur und dem Konto guttuenden, lukrativen Buchtantiemen. Solche Autobiografien ehemaliger, politischer Berühmtheiten standen bei Buchmessen immer hoch im Kurs..
»Anton mein Lieber, jetzt halt mal die Luft an und rege dich nicht jetzt schon so auf. Es gibt Gesetze die verhindern, das Mieten einfach so erhöht wer­den können.«
Ich glaubte selbst nicht, was ich da sagte. Aber das Mittel der Verdrängung half nicht nur bei einem schlechten Gewissen, es funktionierte auch, wenn man sich selbst beruhigen musste. Nur nennt man es dann: Den Kopf in den Sand stecken.
»Na gut, warten wir erst einmal ab. Vielleicht wird ja wirklich nichts passieren und ich mache mir nur unnötig Sorgen. Tschüss Tino.«
Jetzt gab es schon zwei Köpfe im tiefen Sand. Ich ahnte, es würden noch mehr werden und man wür­de die Sahara benötigen, um all die Rüben unterzu­bringen.
Mir war aber auch klar, das meine Position als Hausmeister hier im Viertel sehr bald kompliziert werden würde, das erfuhr ich Jahr für Jahr aufs neue, wenn die Nebenkostenabrechnungen versen­det waren.
Als kleinster Nenner in der Unternehmenshierar­chie stand ich in der Nahrungskette ganz unten und machte mir keine Illusionen darüber, was man mir alles an den Kopf werfen würde.
Das Handy brummte. Madlen Jäckel. Ob die Dich­tung ihrer Spüle wieder hinüber war?
»Hallo Madlen, wie geht es Ihnen.«
Ihre Stimme rauchig wie immer hauchte, »ach mein lieber Tino, ich brauch mal wieder Ihre Hilfe. Ich glaube die Dichtung der Spüle dichtet nicht mehr so richtig. Es tropft und tropft. Und ich weiß wirklich nicht, was ich ohne Sie machen sollte. Könnten Sie vielleicht ...,? Ich möchte keine Über­schwemmung erleben.«
Madlen kam auf meiner Liste der Begehrlichkeiten gleich hinter Nora und Layla. Aber hatte sie nicht kürzlich bei der Eröffnung von Kittys Saloon mit Torsten Kröll, dem möbelpackenden Weiberheld, der mir auch schon bei Nora zuvorgekommen war, angebändelt? Warum sollte ich mir nicht ein paar warme Gedanken machen und mich beim Kröll re­vanchieren?
»Madlen, ich bin auf dem Weg, haben Sie auch ei­nen Kaffee für mich?«
»Aber ja doch mein Lieber. Auch zwei Tassen, eine vor dem Dichten und eine danach. Geben Sie mir zehn Minuten ja? Ich muss mich noch kurz umzie­hen und das tun, was Frauen eben so tun, wenn ein attraktiver Mann zum reparieren kommt.«
Dann mal auf zum Dichten des Lecks Tino, meine Wangen glühten und ich dachte kurzfristig darüber nach, mein Diensthandy auszuschalten. Aber das kam natürlich nicht infrage.
Ihr schwarzer Rock endete sehr weit oben sodass man knapp über ihren schwarzen halterlosen Ny­lons, etwas Haut der Oberschenkel sehen konnte. Die Lippen waren knallrot und ihre Lidschatten waren dunkel, als sie mir die Tür öffnete.
»Tino? So schnell? Ach Gott, wie sehe ich denn nur aus? Sie müssen mich ja für sonst was halten. Ich war ja so sehr mit Kaffee kochen beschäftigt, dass ich doch ganz die Zeit vergessen habe. Aber bitte, kommen Sie doch herein.«
»Soll ich mich gleich um die Dichtung Ihrer Spüle kümmern?« Fragte ich etwas linkisch.
Madlens Augenaufschlag war gekonnt. Ihre Beine, die der einer Eisschnellläuferin in nichts nachstan­den, setzten sich in Bewegung und ließen Ihre vol­len Hüften leicht von links nach rechts und wieder zurück schwingen.
»Ach Tino, ich bin ja so froh, dass Sie hier sind. Wollen wir nicht erst einmal im Wohnzimmer auf dem Sofa gemeinsam einen Kaffee trinken? Kü­chen und ihre Spülen sind ja immer so nüchtern und so unromantisch. Bitte machen Sie es sich doch schon mal bequem, fühlen Sie sich ganz wie zuhause. Ich hole nur schnell unseren Kaffee.«
Mein Hausmeister-Gewissen meldete sich, als ich mich auf das weiße Ledersofa setzte. Aber musste ich denn immer so gewissenhaft, so verantwor­tungsbewusst sein? War ich denn nicht auch nur ein Mann, ein Mann ohne Frau dazu? Durfte ich mich denn nicht auch mal gehenlassen? Einmal ein Vergnügen über meine Aufgaben stellen?
Madlen kam mit zwei Tassen Kaffee zurück und stellte sie auf dem Tisch ab. Dann ging sie zur Schrankvitrine und nahm zwei Cognacschwenker und eine dreiviertelvolle Flasche Hennessy heraus.
»Ach Tino, das Leben ist manchmal so ernst und freudlos, nicht wahr? Da kann ein kleines Schlück­chen nicht schaden.«
Sie goss uns üppig vom Cognac ein, wobei sie sich so weit vorbeugte, dass die Knöpfe ihre Bluse arg anspannte.
Sie schlug ihre Beine übereinander und prostete mir zu. Ihre Zungenspitze berührte leicht und wie zufällig den Rand ihres Glases und ihr Blick traf mich tief.
»Ach Tino, eine einsame Frau wie ich ist ja manch­mal so hilflos«, ihr knapper Rock rutschte etwas nach oben, was den Horizont über ihren Nylons er­weiterte.
»Ich habe zufällig gehört, dass Sie neue Chefs bekommen haben. Muss ich mir Sorgen machen? Sie als Hausmeister sitzen ja ziemlich weit oben, mit Ihrer Verantwortung und dem Wissen um die Bedürfnisse und Nöte der Mieter hier im Viertel.«
Das war es, meine Libido hatte zu Ende. Ich war genauso ein Trottel wie Torsten Kröll. Besser eine späte Erkenntnis als gar keine. Ich stellte den Schwenker auf den Tisch.
»Madlen ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Ich kann Ihnen keine Informationen liefern und bewe­ge mich genauso im Dunkel wie Sie. Ich denke, das mit Ihrer Dichtung hat sich erledigt, danke für den Kaffee.«
Ich stand auf.
»Aber Tino, so war dass doch nicht gemeint. Ich dachte wir ...?
Ihr Mund lockte nicht mehr zum Kuss. Ihr hoher Rock wirkte jetzt plötzlich obszön und ich sah auf einmal Layla in ihrer Polizeiuniform vor mir stehen, ihren Zeigefinger auf meine Herzgegend hämmern, »schalt mal dein Hirn ein, Herr Hausmeister,«
Eine Woche später.
In meiner internen Post lag ein Briefumschlag. Adressiert an:
Tino Pieper, Hausmeister, Persönlich.
Ich nahm ihn in die Hand und wog ihn. Hauspost im Briefumschlag bekomme ich selten und wenn, dann musste der Inhalt von außerordentlicher Wichtigkeit sein. Ansonsten bekam ich meist firmeninterne Memos per Fax oder Email in denen mir dies und das mitgeteilt wurde.
Ich ahnte nichts Gutes und setzte mich erst einmal an meinen Schreibtisch und nippte an meinem Kaf­fee.
Alles in mir weigerte sich, den Umschlag zu öffnen. Meine Hände zitterten und aus meiner Tas­se schwappte mir Kaffee auf meinen grauen Haus­meisterkittel. Aber ich wusste, es hat keinen Zweck, je länger ich zögerte und das Öffnen hin­ausschob, desto schlechter würde es mir gehen.
Ein Kugelschreiber diente mir als Ersatz für einen Brieföffner.
Ratsch und der Umschlag war geöffnet. Er enthielt mehrere DIN A 4-Seiten. Ich nahm sie heraus.

Sehr geehrter Herr Pieper,
hiermit teilen wir Ihnen vorsorglich schon einmal mit, dass wir beabsichtigen, in der von Ihnen be­treuten Wohnanlage, umfangreiche Modernisie­rungsmaßnahmen an und in den Häusern vorzu­nehmen.
Diese Maßnahmen sind im Hinblick auf Werterhal­tung und Wahrnehmung der einzelnen Immobilien notwendig.
Unser neuer Vorstandsvorsitzender Dr. Winnifried Umblicker und sein grandioses Team haben gerade in der von Ihnen betreuten Wohnanlage ein Steigerungspotenzial der aktuellen Mieteinnahmen in geradezu exorbitanter Höhe festgestellt, dessen Umsetzung und Generierung wir uns jetzt mit vereinten Kräften widmen wollen.
Wir wollen es für Sie einmal mit einfachen Worten erklären und lassen aus diesem Grunde das Fach­chinesisch weg:
Uns ist durchaus bewusst, dass wir die zu erstre­benden Mieterhöhungen mit den derzeitigen Be­standsmietern, jedenfalls nicht ohne Streiks oder Schlimmeres zu provozieren, kaum durchsetzen werden können. Fazit: Die müssen also weg und woanders hinziehen um für ein gehobenes Mieterklientel Platz zu schaffen.
Also haben Herr Dr. Winnifried Umblicker und sein grandioses Team eine weitblickende und nach­haltige Strategie entwickelt, um die Vorstandsge­hälter, die ja nun bekanntlich bei einem Vorstands­wechsel nicht unerheblich ansteigen, auch für die Zukunft zu sichern. Qualität hat eben ihren Preis.
Ganz bestimmt ist Ihnen als Angestellter unseres Unternehmens daran gelegen, Ihr bisheriges Ge­halt, das wir allerdings als weit überzogen und viel zu üppig empfinden weiter beziehen zu können und keine Kürzungen in Kauf nehmen zu müssen.
Hier nun unsere weitblickende und nachhaltige Strate­gie in kurzen Worten:
Der Wohnungsmarkt ist in unserer Region (also auch bei Ihnen) äußerst angespannt. Die Mieten in Ihrer Wohnanlage sind für uns daher viel zu niedrig bemessen und zu mickrig.
Also müssen wir die aktuellen Mieter bei Ihnen schleunigst loswerden und verscheuchen, da es sich ja in der Menge um Rentner, Arbeitslose und sonst so ein Pack handelt, welche nicht in der Lage sind, unsere bescheidenen Vorstandsgehälter durch die von ihnen zu zahlenden Mieten in Zukunft abzusichern.
Da wir aber keine allzu teuren Maßnahmen, wie neue Fenster und Türen oder energiesparende Er­neuerungen durchführen wollen um die Mieten erhöhen zu können, dachten wir daran, das Mittel der preiswerten, psychologischen Kriegsführung zu nutzen.
Wir haben also eine eigene Malerfirma gegründet und statten diese mit Malern von Zeitarbeitsfirmen aus. Wir wollen uns ja nicht langfristig mit festan­gestellten Arbeitskräften belasten.
Im Nachgang haben wir uns bei einem Chemieun­ternehmen darüber informiert, welche Farben in der Lage sind Depressionen, allgemeines Unwohl­sein, Aggressivitäten, Massenflucht und derglei­chen negative Reaktionen hervorzurufen.
Das Ergebnis hat uns tatsächlich überrascht. Es ist die Farbe: Kackbraun!
Glücklicherweise hat besagtes Chemieunterneh­men noch massenhaft Kapazitäten der Farbe Kack­braun aus den frühen dreißigerjahren auf Lager und ist gewillt, uns diese zu einem Spottpreis zu überlassen und zu einer ecklig minderwertigen jedoch durchaus gut brauchbaren Fassadenfarbe aufzubereiten.
Es wird also in Kürze ein Heer von Zeitarbeitern, die hinsichtlich einer späteren Festanstellung fälschlicherweise optimistisch sind, bei Ihnen in die Wohnanlage einfallen und alle Häuser in Kack­braun anstreichen.
Halten Sie die Jungs und Mädels, die da anstreichen kommen bei Laune und prahlen Sie ordentlich mit Ihrem üppigen Gehalt und unseren vorbildlichen Sozialleistungen.
Damit tragen Sie motivierend dazu bei, dass wir deren Akkordarbeit ohne Zusatzkosten bekommen, da sie sich dann ordentlich ins Zeugs legen werden in der falschen Hoffnung, eine Festanstellung von uns zu bekommen.
Zu Ihrer Unterstützung der Motivationskampagne haben wir einen wundervollen Preis ausgelobt.
Die drei schnellsten Anstreicher erhalten von uns einen einwöchigen Aufenthalt in Timbuktu bei ei­gener Anreise versteht sich, was wir aber nicht tiefer kommunizieren sollten.
Wir sind der festen Überzeugung, dass diese drei sensationellen und einzigartigen Preise für einen zusätzlichen, ungeahnten Motivationsschub bei den Anstreichern sorgen, aber wegen der hohen Anreisekosten als Selbstzahler bestimmt nicht angetreten werden.
In einer Woche ab morgen, davon gehen unsere Berechnungen aus, wird die von Ihnen betreute Wohnanlage ganzheitlich in Kackbraun erstrahlen und zu der von uns gewünschten und erhofften Kündigungsnwelle der Mietverträge führen.
Unsere Abteilung für Neumieter-Generierung ist jedenfalls jetzt schon hoch motiviert dabei, neue und solvente Mieter für ihre/unsere Wohnanlage zu akquirieren und vorzumerken, wenn das Kackbraun dann wieder entfernt ist.
Machen Sie Ihrem Beruf als Hausmeister alle Ehre.
Mit vorzüglichen Grüßen
Dr. Winnifried Umblicker und sein grandioses Team

Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, war mir schlagartig klar, in welche Richtung es ging. Hier lagen ganz offensichtlich hirnverbrannte Vollprofis in Sachen Kreierung einer neuen Unternehmens­philosophie in ihren Wehen.
Das waren keine neuen Besen, das waren wahre Kehrmaschinen. Und die, die diese Maschine bedienen wollten, waren nicht im Besitz einer für sie dringend notwendigen Bedienungsanleitung oder Fahrerlaubnis..
Ich war noch dabei, ein der neuen Situation ge­schuldetes Verhaltensschema für mich zu finden, als mein Handy brummelte.
»Tino Pieper, Hausmeister«, meldete ich mich aus meinen Gedanken erwachend.
»Ich wünsche einen schönen Tag Herr Pieper. Hier ist Torsten am Apparat. Wie geht es Ihnen?«
Dieser unterwürfige Ton in der Stimme des Anru­fers ekelte mich sofort an. Ich brauchte nicht lange zu rätseln, dieser Typ war Torsten Kröll, der mö­belpackende Muskelprotz.
Doch wieso schleimte der mich gerade so an? Was wollte er mit diesem Anruf bezwecken?
»Aber ja, ich erinnere mich, Herr Kröll, nicht wahr? Danke der Nachfrage, mir geht es gut und was verschafft mir die Ehre Ihres Anrufs?«
»Och, nur mal so Herr Hausmeister. Ich meine, ich dachte, nun ja irgendwie sind wir doch Kollegen und ...«
»Ja und was Herr Kröll? Wollen Sie mich zu ei­nem munteren Möbelrücken mit anschließender Vernissage einladen?«
Ich hörte sein verlegenes Schweigen atmen. Dann kamen ihm zwei Ideen.
Die Falschen wie sich schnell herausstellte, als er herumdruckste.
»Nein Herr Hausmeister, in meiner Freizeit rücke ich keine Möbel und zur Verni gehe ich nicht mehr zur Massage. Oder meinten Sie das Restaurant? Ich glaube, ich habe davon schon einmal gehört. Grie­chisch nicht wahr? Oder ist es ein italienisches? Na ja, egal.«
Himmelherrgott! Was für ein Drösel.
»Nein nein Herr Kröll, ich meinte kein Restaurant. Aber, wo gibt denn die Verni ihre Massagen? Ich meine, massiert die den ganzen Körper? So rich­tig?«
Es machte mir ungeheuren Spaß diesen Schlaumei­er in die Ecke zu treiben. Mal sehen, wie und wo­mit er mich belügen würde.
»Ja, das kann ich Ihnen sagen, die Verni die massiert einen so richtig durch. Überall, wenn Sie verste­hen. Aber die ist jetzt leider nach Spanien, ich glaube die Stadt heißt Mailand gezogen.«
Dieser Kröll verkaufte mir nicht nur eine Lügenge­schichte, sondern eine schlechte noch dazu, um seine wirklichen Absichten zu verbergen.
Aber er amüsierte mich mit seiner Hilflosigkeit und ich beschloss ihn auf eine Spitze zu treiben, auf der er nicht mehr balancieren konnte und das Mittel dazu war pure Gier. Mit Gier ließ sich jede latent korrupte Seele einfangen.
»Wissen Sie Herr Kröll, was mir gerade einfällt? Sie sind ja in der Möbelbranche tätig und ich ver­mute, das Sie als heller Kopf doch bestimmt auch andere Talente, wie zum Beispiel das Malen und Anstreichen haben. Und da denke ich, dass Sie sich unbedingt bei meiner Firma bewerben sollten. Da rollt gerade ein ungeheures Ding an, von dem nur wenige wissen.
Und wenn Sie jetzt ganz schnell sind, verdienen Sie sich mit einem eigenen Malerunternehmen, das Sie sofort schleunigst gründen sollten, dumm und dämlich. Na wie klingt das?«
Ich bekam von ihm ein beredtes Schweigen, das mir verriet, wie es nun in ihm arbeitete. Gier war eine Grundhaltung von Torsten Kröll, wie ich nach einigen Erlebnissen mit ihm wusste.
»Und wie soll ich das anfangen Herr Hausmeis­ter?«
»Och das ist im Grunde ganz einfach. Sie schrei­ben unserem Vorstandsvorsitzenden Dr. Winnifried Umblicker einen Brief. Darin erwähnen Sie, das Sie von einem Redakteur vom Blitzkurier erfah­ren haben, dass einer aus dem grandiosen Team des Dr. Umblicker ihm, dem Redakteur gesteckt hat, das in Kürze erhebliche Malerarbeiten hier an un­seren Häusern vorgenommen werden sollen und Sie über ein eigenes Malerunternehmen mit jeder Menge Fassadenfarbe in Kackbraun verfügen. Außerdem sei es Ihr Herzenswunsch, einmal im Leben das schöne Timbuktu zu sehen und daher ganz schnell arbeiten werden um die Reise zu gewinnen. Das war es schon Herr Kröll. Sie werden sehen, der Auftrag ist Ihnen so gut wie sicher und Sie können sich bald einen Porsche kaufen.«
Ich fühlte, wie Torsten Kröll sich gedanklich in den Olymp eines Malerimperiums emporsteigen sah und ganz nebenbei mit Nora im Porsche nach Tim­buktu brauste. Das Navi würde schon wissen, wo das ist.
Den Samen hatte ich ausgelegt. Nun musste ich nur noch abwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Die Gier, so viel wusste ich, würde zum Gelingen meines spontanen Plans ihren Teil dazu beitragen und auch Torsten Kröll, dem sie zu eigen war.
Zwei Tage später.
»Tino Pieper am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«
»Torsten Kröll hier. Also Herr Hausmeister, zum ersten Mal bin ich Ihnen dankbar.«
Torsten Kröll und dankbar?
»Wissen Sie Herr Hausmeister, ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Nach Ihrem Tipp habe ich beim Blitzkurier angerufen und nach dem Redak­teur verlangt. Sie wissen schon, dem Freund von einem aus dem grandiosen Team.«
»Und Herr Kröll, sind Sie fündig geworden?«
»Ha, ich sag Ihnen was. Die haben mich sofort in ihre Redaktion eingeladen. Wie die mich empfan­gen haben? Als wäre ich der König von Timbuktu persönlich.«
Meine Neugier war geweckt.
»Weiter Herr Kröll, was haben die gesagt?«
»Na was schon? Erst habe ich sie zappeln lassen und nur etwas von Kackbraun als Fassadenfarbe erwähnt. Als die mehr wissen wollten, habe ich ge­sagt, dass ich ja von etwas leben müsse und da ha­ben sie mir eintausend Euro auf den Tisch gelegt und es wäre meins, wenn ich Ihnen alles erzählte.«
»Und weiter?«
»Ja was denn? Ich habe denen das erzählt, was Sie mir gesagt haben und das ich jetzt eine Malerfirma gründen werde und den Auftrag von Dr. Umblicker so gut wie in der Tasche habe. Dann haben die sich bei mir bedankt und mir mit meiner Firma viel Glück gewünscht. Außerdem schicken sie mir ein Gratis-Exemplar vom Blitz-Kurier nach Hause.«
Einen Tag später.
Ich fiel um sechs Uhr aus dem Bett, rannte im Spurt ins Bad und von da aus zu Julio und seinem Kiosk. Der Blitzkurier erwartete mich mit der Schlagzeile auf der Titelseite in blutroten Farben:
Alle Wohnhäuser hier im Viertel sollen Kackbraun gestrichen werden! Schickt Dr. Umblicker seine Mieter nach Timbuktu?
Zwei Tage später.
Ich komme in mein Büro. Es ist frühmorgens an ei­nem regengrauen Tag. Ich öffne meinen Briefkas­ten und es liegt neben den üblichen Werbeflyern ein Brief von der Wohnungsverwaltung drin.
Neugierig setzte ich mich an meinen Schreibtisch und ritzte den Umschlag mit meinem Kugelschrei­ber auf, nahm das eng beschriebene Blatt Papier heraus und las:

Lieber Herr Hausmeister Tino Pieper,
leider wurde unser Vorstandsvorsitzender Dr. Win­nifried Umblicker von einem Whistleblower aus seinem grandiosen Team, verraten und verkauft. Da sich keiner freiwillig zu dieser frevelhaften Tat bekannte, wurde das gesamte Team entlassen.
Um einen eventuellen, höchstmöglichen Schaden für unser Unternehmen, Ihrem Arbeitgeber, zu ver­meiden, hat Dr. Umblicker ein völlig neues Team zusammengestellt. Es ist ein wirklich brilliantes Team, an das wir außergewöhnliche Erwartungen stellen.
Dr. Umblicker und sein brilliantes Team möchten folgende Gegendarstellung zu lügenhaften Berich­ten und widerlichsten Behauptungen der hiesigen Pressemedien abgeben:
Es wurde niemals daran gedacht, die Häuser in dem von Ihnen betreuten Viertel mit der Fassaden­farbe Kackbraun zu versehen um unsere treuen, langjährigen und geliebten Mieter zu vergraulen.
Wo die sagenumwobene Stadt Timbuktu liegt, ist niemandem hier im Haus bekannt und somit wur­den auch keine Reisen dorthin für irgendwelche Anstreicher, die von Leiharbeitsfirmen kommen sollten ausgelobt.
Wir, das heißt, Dr. Winnifried Umblicker und sein brillantes Team (nicht zu verwechseln, mit dem ehemals grandiosem Team), sind mit den jetzigen, wirtschaftlichen Gegebenheiten auf das Freudigste im Einklang.
Wir legen höchsten Wert auf nachhaltige Seriösität im Verhältnis zu unseren Mietern und würden nie­mals, ganz ehrlich niemals, auch nur einen einzi­gen von ihnen nach Timbuktu expedieren wollen, nur weil er angeblich eine zu kleine Miete bezahlt.
Nach Offenlegung und Durchsicht sämtlicher Vor­standsgehälter, sind wir zu der Einsicht gelangt, das diese höchst angemessen erscheinen und kei­ner Erhöhung bedürfen. Im Gegenteil, wir vom Vorstand, vertreten durch Dr. Winnifried Umbli­cker und sein brillantes Team sind geprägt von Be­scheidenheit und Demut, was bedeutet, dass uns das dreißig- bis fünfzigfache je nach Vorstandspo­sition, Ihres Jahresgehaltes als Hausmeister völlig genügt und wir zur Ernährung unserer Familien keine Erhöhung unserer Bezüge benötigen. Es wird hart werden, aber wir schaffen das mit eisernem Willen gegen jeden inneren Widerstand.
Also Tino, lieber Junge. Es bleibt alles beim Alten und wir verlassen uns auf Sie, wie auch Sie sich von uns verlassen fühlen dürfen.
Glück auf!
Ihr Dr. Winnifried Umblicker und sein brillantes Team

Ich legte den Brief beiseite, rieb mir die Schläfen und sinnierte darüber nach, was ein unterbezahlter Hausmeister und ein naiver, muskelprotzender Mö­belpacker mit einer kleinen Indiskretion doch zum Guten wenden konnten. Meine Mieter waren geret­tet und wussten nicht von wem. Von mir würden sie es nicht erfahren. Vielleicht vom Kröll? Immer­hin verdankte er mir eintausend Euro.





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