auch ich bin ein Opfer der unsäglichen Corona-Krise, da alle meine gebuchten (Rather Kulterwoche, Düsseldorfer Kulturherbst u.a.) Lesungen ausgefallen sind.
So gebe ich euch heute noch eine kleine Leseprobe aus meinem neuen Werk, "Buch der Satiren - Bitter bis Schwarz" zur vergnüglichen Einsichtnahme.
Viel Spaß und verliert nicht euren Humor.
Herzlichst
Michael Uhlworm
Neue Patrioten
Hierher verirrte sich kein geschäftstüchtiger Friseur, es sei denn er hätte sich auf Glatzen polieren oder einheitliche Potthaarschnitte spezialisiert.
Die Luft war zum Schneiden und mit Tabakrauch von Selbstgedrehten üppig angereichert. Die Geräuschkulisse war moderat für jene, die ein Hörgerät mit funktionierendem Lautstärkeregler besaßen.
Das Publikum setzte sich zusammen aus vielen unnüchteren jungen und irgendwie übrig gebliebenen alten, meist männlichen Geschlechts.
Was eigentlich ein kompletter Gegensatz zu sein schien, entpuppte sich jedoch beim gemeinsamen Grölen der verbotenen Hymne als befruchtende Ergänzung der Stimmlagen. Hier hatte auch der Evergreen des Horst Wessel-Liedes Konjunktur an dem die GEMA leider nicht mitverdienen durfte.
Ordentliche Steuerzahler wären nur unter den Älteren zu finden, die irgendwelche Abgaben von ihrer Rente an den verhassten Staat abführen mussten. Die Jungen waren im freudlosen Dauerurlaub und ließen sich von Verachteten und Verhassten alimentieren, denen sie aber noch die Flötententöne beibringen wollten, wenn sie denn erst an der ersehnten Macht wären.
Alle diese, Verlorenen und Verlierer einer Gesellschaft, welche sie immer noch nicht für ernst und voll nahmen, alle diese wahren Patrioten erkoren heute ihren neuen Boss.
Doch es gab ein klitzekleines Problem mit Hannes Früchtli, dem Auserkorenen, weil der härteste und kompromissloseste unter ihnen. Hansi stotterte seit seinem elften Lebensjahr vor 84 Jahren.
Schuld daran war sein Chef, der Oberrottenführer Karl Siegfried von Schlurfweg, der zwei Jahre älter als der kleine Hannes damals war und sich heimlich für ein Mädchen hielt und das einmal am kleinen Hannes ausprobieren wollte. Aber das hat er niemandem erzählen können und auch nicht, dass ihm Karlas Annäherungsversuch durchaus gefallen hatte. Die sich daraus ergebende Verunsicherung hinsichtlich seines zukünftigen sexuellen Werdegangs brachte den nunmehr verunsicherten Hannes derart in eine schiefe Gefühlslage, dass er mit dem Stottern begann, was ihm niemals eine Freundin, noch einen Freund in seinem Leben bescherte.
Der Inquisition der damaligen Herrschaft, die alles Andersgeartete, darunter eben auch Stotterer nicht dulden konnte, entkam er nur, weil er sich derart stumm stellte, dass jedem Verhörer die Lust auf spezielle Fragen verging, wenn ihm nach Stunden des Fragenstellens und Schlägen auf den Hinterkopf, der Hunger plagte und zuhause die Frau das Bett gemacht hatte. Schließlich waren auch Parteimitglieder nur Menschen, wenn auch die selbst ernannten Besseren.
Hannes war geprägt von diesem Überlebenskampf. Deswegen war er heute auch so ein harter Hund. Die Jungen schauten zu ihm auf und die Alten ölten ihm nett gemeint die Räder seines Rollators, weil sie aus eigener Erfahrung wussten, wie schnell so eine Straßenbahn weg sein konnte, wenn man nicht flugs genug an der Haltestelle war. Es war ihnen durchaus bewusst, dass ein Parteivorsitzender viel zu Reisen hatte.
Der Generalsekretär, der auch den Pressesprecher machte, hatte die Mittlere Reife gemacht und war das intellektuelle Aushängeschild der Patrioten und mit seinen siebzehn Jahren der Garant für eine blühende Zukunft der Partei. Er beherrschte die Prozentrechnung aus dem Effeff und wusste um die fünf Prozent Hürde Bescheid, die es brauchte um in den Bundestag einzuziehen um dann aus der Opposition heraus die Macht im Lande zu ergreifen.
Harald von Tun und Nix hatte nur leider ein Problem. Er hatte eine kaputte Kniescheibe, seit er mit vier Jahren unglücklich das »von« aus seinem Namen streichen wollte, weil es nicht so recht in seine aufkeimende braune Gesinnung passen wollte, weil ihm der zwanzigste Juli 1944 nicht aus dem Kopf wollte. Der Adel war doch inzestuös, jede war mit jedem untereinander verheiratet. Nein, ein Wasserkopf wollte er nicht werden und obendrein hatte der das fünfte Reich verraten wollen. Nein er wollte keinesfalls von Adel sein und das »von« musste aus allen Akten gestrichen werden.
Seine Mutter fand seine jugendlichen Gedanken nicht so amüsant und ließ ihn spontan vom Wickeltisch fallen. Immerhin hatte sie diese Affekttat später bereut und küsste ihm heute noch jeden Abend das kaputte Knie, bevor er zu Bett ging. Er hatte ihr verziehen, wie hätte sie auch seine rasante Karriere zum Generalsekretär im Kreise der Patrioten damals auch erahnen können.
Hannes und Harald waren das perfekte Führungspaar der Partei und ergänzten sich auf das Vorzüglichste, dort oben auf dem Podium.
Hannes als der Ältere hatte das Wort.
»Hei, Hei, Heil Frücht, Frücht, Früchtli.«
Harald, der keinesfalls zurückstecken wollte, ging es doch um seine Zukunft und die sah er im Parteivorsitz, begab sich philosophisch wie geschichtlich in eine prekäre Situation.
»Nun liebe Genossen, was unser lieber Hannes sagen wollte, ist, die Würfel sind gefallen, wie Cäsar damals schon sagte, als er Germanien einnahm und die Donau überquerte. Er konnte ja nicht wissen, dass er in Wahrheit die Polen zu seinen rechtmäßigen Sklaven machte. Es gab ja noch kein Internet oder beleuchtete Globusse.«
Ein frenetischer Applaus setzte ein. Die Masse raste. Sogar eine Zugabe wurde gefordert. Haralds Wangen glühten.
»Hei, Hei, Heil Frücht, Frücht, Früchtli«, grätschte ihm Hannes, verbissen auf seinem Rollator gestützt dazwischen.
Harald, um seine Karriere bedacht, wollte dem Grufti auf keinen Fall die Bühne überlassen und gab sein Latein zum Besten.
»Ich stehe ante portas und in vino veritas und rüttele an den Gittern, die uns einsperren. Die zwei Prozent schaffen wir locker und dann übernehmen wir die Macht im Staat. Willy Brandt kann einpacken. Zweitausendzwanzig wird unser Jahrhundert.«
Die Menge vor ihm war von so viel Bildung sehr ergriffen und traute sich nicht mehr so recht zu applaudieren. Man sah sich an und kam zu dem Schluss, nur so zur Solidaritätsbekundung, die verbotene Hymne zu intonieren.
Da sie aber auch recht schön klingen sollte, wurde schnell Hansi Weißacker zum Chorleiter bestimmt, weil der früher, in den Siebzigerjahren Synchronschwimmer war und von stimmlichen Gleichklang und Gleichschritt die meiste Ahnung zu haben schien.
Tränen und tiefste Gefühle übermannte das Unwesen, dort unten vor dem Podium. Man fiel sich in die Arme und niemand störte sich an den Gestank von Schweiß und gelegentlichen Blähungen aus gerührten Bäuchen.
Das Eis war gebrochen. Harald stand vor einer noch jungen, verheißungsvollen Parteikarriere. Er spürte seinen hohen Blutdruck .... Weiter geht`s im Buch
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