Liebe Leserinnen und Leser,
heute möchte ich euch eine Geschichte aus meinem aktuellen Buch:
Allerlei kurze und längere Geschichten von lustig bis besinnlich bis sarkastisch
vorstellen.
Ich wünsche euch viel Vergnügen.
Michael Uhlworm
heute möchte ich euch eine Geschichte aus meinem aktuellen Buch:
Allerlei kurze und längere Geschichten von lustig bis besinnlich bis sarkastisch
vorstellen.
Ich wünsche euch viel Vergnügen.
Michael Uhlworm
Der
Stau
Mariel
freute sich, endlich ein langes Wochenende und sie hatte Richard ganz
für sich alleine. Sie hatten die letzten Jahre keine Urlaube
machen können, alles Geld war in das Haus geflossen.
Sie
schaute aus dem Küchenfenster und sah, wie Richard den Wagen
gerade aus der Garage gefahren hatte und die zwei Koffer, einer für
ihn, einer für sie, in den Wagen zu hieven begann.
Richard
fluchte innerlich. Wieso mussten Koffer von Frauen und speziell von
Mariel nur immer so schwer sein. Vier lange Tage sollten es werden,
mit Mariel ganz alleine, vier ganze Tage. Worüber sollte er
denn nur mit ihr reden? Wieso hatte er sich darauf eingelassen? Er
tröstete sich mit dem Gedanken, dass diese vier Tage mit Mariel
nur kurze und überschaubare Ewigkeiten waren.
»Richard,
bist du soweit? Ich freue mich ja so und was für ein wunderbares
Wetter wir haben, sieh nur kein Wölkchen am Himmel«, übermütig
drehte Mariel sich im Kreis. Sie hatte ein leichtes, grell geblümtes
Sommerkleid angezogen, dass ihre Knie freiließ, und einen breiten
Strohhut mit rosa Schleife auf ihren Kopf gesetzt.
Richard
wienerte noch die Windschutzscheibe und drehte sich zu ihr um.
»Ja
ich bin fertig, wir können starten. Also los dann, fahren wir.«
»Ist
der Tank auch voll? Haben wir auch nichts vergessen?« Mariel schaute
zum Haus zurück und versicherte sich zum Wiederholten mal, dass alle
Fenster geschlossen waren. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und
sah Richard zu, wie er etwas ins Navi eintippte.
»Wirklich
Richard, weißt du noch, wie ich damals immer die Straßenkarten
lesen musste und immer alles vertauscht habe? Und jetzt, tipp, tipp
und schon geht’s zum Ziel.«
Richard
schaute sie müde an, »ja damals, ist ja auch erst zwanzig Jahre
her.« Er gab Gas.
Es
ging auf die Landstraße, einer geraden Allee gesäumt mit Pappeln,
zur Autobahn hin.
»Ich
weiß noch, wie du damals einmal auf einen Parkplatz gefahren bist
und mich küssen wolltest. Weißt du noch?« Mariel kicherte jung.
Richard
legte eine Disc der Rolling Stones ein, Dump, Dump machte das
Schlagzeug. Richard drehte auf und nahm die Autobahnauffahrt. Mariel
schaute gedankenverloren aus dem Seitenfenster »haben wir denn
nichts von Richard Claydermann? Ich mochte sein romantisches
Klavierspiel so sehr.« Ihre helle Stimme ging in den Bässen
unter. »Richard! Hörst du mir überhaupt zu?« Mariel starrte sein
Profil an.
Richard
erschrak aus seinen Gedankenspielen. Gerade eben überlegte er noch,
wie er Höllermann, seinen Kollegen und Konkurrenten um den
Abteilungsleiterposten, bei den anstehenden
Beförderungsentscheidungen elegant und endgültig rauskicken
könnte.
»Mein
Gott Mariel! Du bist keine achtzehn mehr. Nein von Claydermann haben
wir nichts«, polterte er.
»Da
siehst du, jetzt haben wir es. Ein Stau.« Richard bremste den
Wagen ab. Ausgerechnet mit Mariel wird er jetzt in diesem
gottverdammten Stau stehen müssen. Na prima, der Tag war für ihn
gelaufen.
»Was
hat der Stau mit Claydermann zu tun? Du bist so unromantisch geworden
und das nicht erst seit gestern«, Mariel schnäuzte sich die Nase,
»und ich weiß, dass ich keine achtzehn mehr bin. Sag es doch, ich
bin dir zu alt geworden.« Mariel weinte.
Mariels
Weinen dauerte nicht lange, als sie plötzlich zur Amazone
wurde.
»Ich
weiß genau was du willst du Mistkerl. Du willst Abteilungsleiter
werden und dir eine junge Sekretärin krallen. Nein Freundchen,
das schlag dir mal aus dem Kopf, nicht mit mir«.
Richard
schaute ertappt aus der Wäsche und Mariel konnte es in seinem
Gesicht ablesen, »Nein mein lieber Richard, das wird nichts. Ich
lasse mich von dir scheiden und dann darfst du mir Unterhalt zahlen
und das Haus kriegt die Bank. Dann wirst du ja sehen, wie du als
armer Schlucker an die jungen Dinger kommst.«
Mariel
drehte sich abrupt zur Seite und schaute verbittert aus dem
Seitenfenster.
Richard
blieb stumm, Mariel hatte seine geheimsten Wünsche erraten.
Würde er den Posten bekommen, würde die knackige Michelle
seine Sekretärin. Michelle, träumte er, die mit diesem
mörderischen Hüftschwung und erst neunundzwanzig. Nicht zu alt
und nicht zu jung für ihn und sie war ohne Mann. Perfekt! Doch jetzt
musste er zum Schein kapitulieren, ehe es ihm aus dem Ruder lief.
»Aber
Mariel, was redest du dir da ein? Wenn ich erst einmal
Abteilungsleiter bin, dann können wir die Hypothek fürs Haus
schneller ablösen und uns endlich schöne Urlaube gönnen. Freust du
dich denn gar nicht darauf?« Was er sich da sagen hörte, konnte er
selber nicht glauben. Umso überraschter war er, als Mariel nach
seiner Hand griff.
»Glaubst
du wirklich wir könnten ein neues, ein besseres Leben haben,
wir beide, du und ich?«, lächelte sie jetzt versonnen.
Irgendetwas
regte sich in Richard, er wusste nicht genau, was es war aber es
nagte sich vorwärts, versuchte, ihn zu erreichen. Nein, er
kämpfte dagegen an. Mariel hatte mit seiner Zukunft nichts mehr zu
tun. Er brauchte eine billige Lösung um Mariel loszuwerden, sie
durfte sein Leben nicht zerstören.
»Mariel«,
begann er, »wir dürfen nichts überstürzen«, er musste, ja
er wollte lügen.
»Sieh
mal Mariel, wir sind jetzt zwanzig Jahre zusammen und was haben
wir nicht alles gemeinsam geschafft? Das Haus und das alles.« Seine
Finger trommelten aufs Lenkrad.
»Ja
Richard, das Haus zahlen wir noch zehn Jahre ab, vielleicht auch
weniger, wenn du mehr verdienst. Aber was haben wir sonst noch?
Vielleicht wäre es mit Kindern schöner geworden«, sie hielt
noch immer seine Hand, streichelte sie jetzt.
Jetzt
hatte er sie, Blut floss in seinen Verstand »Kinder? Ja ist es meine
Schuld, dass wir keine Kinder haben konnten? Es ist deine Schuld! Du
konntest keine Kinder haben, ich schon, bei mir war alles klar«,
triumphierte er. Die Zeichen standen auf Sieg. Weitermachen!
Zerstören!
»Und
jetzt, wo du mir den Wunsch nach Kindern nicht erfüllen konntest,
jetzt willst du mich erpressen und mir meine Zukunft rauben. Das ist
nicht fair Mariel, das ist nicht richtig.« Er spürte wie ihre Hand
erstarrte und seine losließ. Sie öffnete die Beifahrertür und
stieg aus.
»Was
soll das Mariel? Wo willst du denn hin?« Er bekam es mit der Angst
zu tun und da war es wieder, dieses hartnäckige Nagen, es ließ
nicht locker. Er stieg jetzt ebenfalls aus und lief Mariel hinterher.
»Herrgott Mariel, wir sind auf einer Autobahn. Mariel bitte warte
doch.«
Doch
Mariel rannte weiter, immer schneller werdend an stehenden Autos
vorbei, Richtung Stauende. Der Verkehr auf der Gegenfahrbahn lief
zügig und sie spürte den Fahrtwind der vorbeirasenden Reisenden,
Fliehenden und nur Nachhausefahrern.
»Mariel
nun warte doch! Lass uns reden.« Er wusste, er war zu weit gegangen,
seine Vorwürfe richteten sich jetzt gegen ihn, drohend wie ein
geladener Gewehrlauf. Er hastete ihr hinterher, kam ihr aber nicht
näher, so schnell lief sie.
Dieses
Schwein, ging es Mariel durch den Kopf. Nie waren eigene Kinder
zwischen ihnen ein Thema gewesen. Er hatte ihre Unfruchtbarkeit sogar
begrüßt. Natürlich hatte sie ihm den Grund dafür niemals
verraten. Er hatte auch nicht gerade eindringlich nachgefragt, er
hatte es einfach so hingenommen und vielleicht sogar begrüßt. Das
Adrenalin setzte ungeahnte Kräfte in ihr frei und machte ihre
Gedanken so klar wie eisige Luft im Winter am Berg.
Hatte
Mutter wirklich nichts gewusst? Hatte sie nicht wenigstens etwas
geahnt? Oder war sie nur so froh darüber gewesen, einen wie Gisbert
gefunden zu haben, der eine Alleinerziehende heiratete, damals in den
siebzigern? Gisbert war der erste Mann in Mariels Leben. Er war lieb
und zärtlich zu ihr, wie es ein richtiger Vater nicht hätte besser
sein können. Seine Zärtlichkeiten wurden heimlicher und
aufdringlicher, als Mariel erste äußerliche Anzeichen beginnender
Weiblichkeit entwickelte.
Von
da an waren Mutters Nachtschichten im Werk für Mariel eine Qual und
Tortur, deren sie sich nicht entziehen konnte. Die Scham verschlug
ihr die Sprache und sie schwieg. Mit sechzehn war sie schwanger und
Mutter außer sich. Gisbert gab sich verständnisvoll und schlug eine
Klinik in Holland, nahe Amsterdam vor, wo das Malheur, gegen Bargeld,
beseitigt werden konnte. In der Klinik ging alles sehr schnell.
Mariel war den Fötus aber auch ihre Fruchtbarkeit los. Bedauerlich,
aber so etwas könne schon mal passieren, der Andrang aus Deutschland
war eben so groß und Hektik produziere schon mal kleinere Fehler,
erklärte der Operateur, der nicht selber operiert hatte.
Gisbert
nahm es gelassen und ließ Mariel fortan in Ruhe. Mutter belehrte
sie, sich nicht wieder leichtfertig mit einem Jungen einzulassen,
fragte aber nicht, wer dieser Junge gewesen sein könnte. Mariel war
es ganz recht, hätte sie doch keine Antworten auf diese Fragen
gehabt. Mutter starb früh, Gisbert verschwand aus ihrem Leben nach
irgendwohin und Mariel hatte bald ihren Richard zum Mann und zum
vergessen.
Richard
begann zu prusten, sein Atem wurde flacher. Mariel war ihm auf
dreißig Meter enteilt. Was tat sie da? Er wollte rufen, schreien,
doch seine Lungen gaben keine Luft mehr her.
Mariel
hielt kurz inne. Warum eigentlich nicht? Richard hatte mit seinen
Vorwürfen ihre Zukunft beendet, ihr Schicksal besiegelt. So soll es
also sein. Sie kletterte über die Leitplanke. Es ging ganz schnell,
sie brauchte nicht zu warten, schon der erste Wagen erfasste sie.
Richard
sah Mariel durch die Luft wirbeln. Er wusste sofort, es war vorbei.
Das scharfe Bremsen des Wagens, der Mariel tötete, brachte ihn zum
schleudern sodass er sich auf der Fahrbahn drehte. Nachfolgende
Autofahrer waren zu überrascht um der Katastrophe ausweichen zu
können und krachten aufeinander und verkeilten sich ineinander.
Richard
stand jetzt, fassungslos die Szenerie begreifend, starr und still. Er
war das perfekte Ziel für das in den Stau aufgefahrene Motorrad das
sich zum Fluge erhob und Richard mitsamt seiner späten Reue
erschlug.
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Düsseldorf.